
LOCUS ANIMI
(AB)ORT DER SEELE
“Il Faut Risquer Les Indigestions, Si L’on A Envie De Manger!” Francis Picabia
“L’etre Ideal? Un Ange Ravagé Par L’ Humour.” E. M. Cioran
Seit nunmehr über zwanzig Jahren bemühen sich die Stadt Berlin, als auch das restliche Deutschland mit Erfolg Reinhard Scheibner zu übersehen. Und dabei ist man hierzulande nicht gerade allzu üppig mit guten Malern bestückt. Man bedient sich lieber der weniger sperrigen, braven Geniedarsteller und pseudointellektuellen Klugscheißer, toilettenrein, geistiger Dünnschiss auf Hochglanz poliert, Hauptsache ohne Aussage. Schön alles auf Zwergen-Niveau herunterköcheln. So ist es nicht verwunderlich, dass die umfassenderen Publikationen auch ex patria erscheinen. Die deutschen Schreiberlinge und Kuratoren, seit der Eliminierung der jüdischen Intelligenz immer mehr zu Handlangern des Raubtiers Kunstmarkt verkommen, haben seit jeher äußerste Schwierigkeiten mit Bildern gehabt, die die Grenzen zum Karikaturhaften, zum Comic zu überschreiten wagen: Die hehre Kunst hat im Land der Dichter und Denker gefälligst ernst zu sein und Comic hat darin als angeblich schiere Unterhaltung aber auch gar nichts verloren, und basta! Lachen verboten! Wer lacht, kann nicht ernst sein, doch wer zu ernst ist(und das sind die Germanen leider nun mal), hat auch nix zu lachen. Also lieber Kopfschmerzen im Wasserkopf als erlösenden Humor. Wie absurd und verbohrt selbstbeschneidend diese Denkweise ist, soll hier nicht Thema sein. Schließlich gäbe es keinen Plautus, keinen Rabelais, Jarry, Rops, Ensor, Grosz, Crumb et cetera. Ein Robert Combas oder Herve di Rosa müssten in Germanien ebenso beim Sozialamt mit anstehen.



Ende der Siebziger, Anfang Achtziger entstehen meist großformatige Leinwände in zeitgemäß wildem Duktus, doch seine Arbeiten unterscheiden sich grundlegend von den verhuscht dahingepinselten Flachheiten der „Moritzboys”. Wie viele Künstler ist er fasziniert von der radikalen Konsequenz des Verbrechers, dem bewussten Verstoß gegen die bürgerliche Moral. Das Abgründige, Abwegige, Albtraumhafte, “das schrecklich Schöne der Tat” (Nietzsche) sind bei weitem ergiebiger als das Schöne, Wahre, Gute. Die Niederungen der menschlichen Existenz werden hier ausgelotet, es geht stets sofort zur Sache. Rohe Gewalt beherrscht die Szenerie. Die Täter sind Ärzte, Polizisten, Lustmörder, Punks , Skinheads, scheißende Köter. Der verrückt gewordene Spießer von nebenan – er löscht gerade seine Familie systematisch aus. Riesenweiber, die sich an ihren mickrigen Männlein austoben. Perverse, die Hand an sich legen und legen lassen. Ein nettes Pandaimonion der Neuzeit wird sarkastisch mit viel Liebe auf dem Präsentierteller gereicht.
Es ist auch die Zeit des Häuserkampfes. In Ermangelung an Polizeipräsenz , haut man sich in den Kaschemmen bisweilen gegenseitig aufs Maul. Polizisten und Autonome gleichen sich in Aussehen und Gehabe immer mehr an, wer ist Täter, wer ist Opfer ?. Der Wahnsinn ist allgegenwärtig und beinahe physisch spürbar in der Frontstadt des Kalten Krieges. Reagan, schon vor seinem Alzheimerausbruch schwachsinnig genug, sinniert laut über die Gewinnbarkeit eines Atomkrieges (first-strike-capability!), 1984 steht vor der Tür, der Horla geht um. No Future – Geraunz dringt aus jedem Loch. Dann kocht auch noch Tschernobyl über, und das Affentheater ist perfekt. Die Realität ist wie immer nicht zu toppen. Scheibner versucht sich lediglich an diese heran zu tasten, sie malerisch zu begreifen. Daher die akribische Detailfreude, die barocke Fülle an Gegenständen und Personen, von denen es auf den Arbeiten häufig wimmelt. Er erzählt Geschichten aus der Großstadt, der kranken Hektik des Sommerschlussverkaufs, der Vereinsamung des Einzelnen in der Masse, dem Gebrüll in den Destillen, dem Gewusel auf den Straßen; die Architektur ist abstoßend, lebensfeindlich, monströs und bedrohlich. Natur existiert so gut wie nicht, wird höchstens angedeutet 1991 kommen während der „Operation Desert Shield” zu den apokalyptischen Darstellungen des Alltags noch Schlachtenbilder mit Panzern, Scud-Raketen und Gasmasken tragenden Soldaten hinzu, wie immer dicht am Zeitgeschehen. Auch entsteht ein fantastisches Gemälde über Nietzsches Zusammenbruch in Turin. Der das Pferd peinigende Kutscher trägt karikaturhaft Scheibners Gesichtszüge – hochrot vor Wut, drischt er auf die wehrlose, ausgemergelte Kreatur ein. Obwohl er sich auch mit dem verrückt werdenden Philosophen identifiziert, ist er Täter und Opfer zugleich, also keinen Deut besser als die Arschlöcher, die er darstellt Eben ein Arschloch unter Milliarden Bekloppter, und ein jedes bildet sich ein, irgend einem vermeintlichen Sinn hinterher traben zu müssen. Alles nur Blutbeutel voller Scheiße, ferngesteuert durch die Geißel der biologisch bedingten Hinfälligkeit, stets darauf bedacht, andere zu zerstören, bis sie selber an die Reihe kommen.



In der ersten Hälfte der Neunziger werden die Bilder zunehmend plakativer, haben scharf umrissene Konturen, manchmal gibt es nur eine einzige Farbe außer schwarz und weiß. Er versucht sich zu reduzieren, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Gesellschaft hat sich unterdessen natürlich nicht geändert, nur alles mit anderen Vorzeichen im ewigen Kreislauf. Man sitzt rauchend und saufend in Kneipen, während im Hintergrund fleißig geschossen wird, ist Opfer der Medizin, scheißt Bettlern in den Hut, Augenlose kaufen beim Neger am Imbiss Augen, die sie sich, obgleich auch noch ohne Münder, versuchen einzuverleiben. 1996 tauchen die Schließmuskelgesichter in wieder malerischer werdenden Bildern auf. Der Kopf ist zum Arschloch geworden, die Umkehr der Verdauung angesagt. Es entstehen zahlreiche Aquarelle. Die Arschlochköpfe haben anstatt Beinen oft nur einen Riesenphallus, erigiert oder schlaff, Därme schwirren durch die Lüfte, die Szenen werden aberwitziger. Aber auch eins zeichnet sich ab. Scheibners Sicht wird distanzierter und er entdeckt für sich die Flora. Es gibt auf einmal grünes Gras, Bäume und gepflegte Landschaften, eine gewisse Form von Bejahung schleicht ein. Nun ja, im Hintergrund wird immer noch gemordet, geschändet und gebrandschatzt. Er ist von der Realität bewegt, aber nicht mehr erstaunt, der ganze Quatsch der Erdianer eher amüsant als tragisch. Man wähnt sich in seinem Humor bestätigt oder lehnt ihn als zu ekelhaft ab, klare Positionen, wie bei jeder großen Kunst. Und als Konsequenz der Arschlochköpfe, die manchmal aus dem Rosettenmund Verdautes absondern, haucht Scheibner den Kotstangen Leben ein. Sie enthalten Menschenphysiognomien und entwickeln sofort ein Eigenleben. Der Mensch in seiner lächerlichen Vermessenheit, als Abfallprodukt der Evolution. Die Krone der Schöpfung eines selbsterdachten Gottes hat sich als solche disqualifiziert, wird eins mit ihrem Exkrement. Die Erde scheißt man mittels Übervölkerung, durch zu zahlreiches Da-Sein förmlich zu, wird zum eigenen Produkt sozusagen. Kloakenanbetung, Ausscheidungskämpfe, Mastdarmidylle, willkommen beim Kongress der Koprophagen. Die Köttel tummeln sich so arglos, heiter und ausgelassen in der Meeresbrandung, am Rodelberg, in Parkanlagen, in einer immer positiv erscheinenden Natur .hängen aber auch gerne in Bauhausmöbeln (zweite Natur) rum. Rollstuhlfahrerkackwürstchen werden liebevoll durch die Gemarkung geschoben. Das Künstlerhäufchen im Rollstuhl darf da selbstverständlich nicht fehlen. Die Freizeit-, Spaß- und Arbeitslosengesellschaft feiert fröhliche Urständ als Fäkalie. Man hat auswendig gelernt, Leben vorzutäuschen. Der Mensch ist auf seine einzigen wahren Beitrag in der Natur reduziert, als Düngemittel für kommende genauso nutzlose Lebensformen. Irgendwann wird der Planet nicht mehr von der Seuche Mensch befallen sein, scheißegal – können wir uns doch bei einem schönen Gläschen Wein den lustigen Artefakten eines Reinhard Scheibner hingeben und somit unser eigenes Siechtum im Geiste vorverdauen.
Klaus Theuerkauf
Berlin, den 3.12.2000

LOCUS ANIMI
LIEUX D’AISANCES DE L’ÂME
KLAUS THEUERKAUF.
TRADUCTION PAR FRANÇOISE CACTUS.
“Il Faut Risquer Les Indigestions, Si L’on A Envie De Manger!” Francis Picabia
“L’etre Ideal? Un Ange Ravagé Par L’ Humour.” E. M. Cioran
Depuis plus de vingt ans, Berlin mais aussi le reste de l’Allemagne s’efforcent avec succès d’ignorer Reinhard Scheibner. Pourtant dans notre pays, on ne peut pas se vanter d’être pourvu d’un nombre exubérant de bons peintres. Au lieu de cela, on se satisfait de prétendus “génies” – plus sages et moins encombrants -et de pseudo-intellectuels arrogants, propres comme des toilettes, et qui brillent de leurs diarrhées spirituelles. L’essentiel, c’est qu’il n’y ait pas de message: laisser réduire la soupe jusqu’à néant. Il n’est donc pas étonnant que les plus amples publications paraissent ex patria.

Depuis l’élimination de l’intelligence juive, les gratte-papiers et curateurs allemands ne sont plus que des manœuvres au service de ce rapace qu’est le marché de l’art. Depuis lors, ils ont d’extrêmes difficultés devant des tableaux qui osent passer la frontière de la caricature ou de la bande dessinée : Au pays des poètes et penseurs, l’Art sublime est tenu de rester sérieux, et la caricature n’a rien à voir là-dedans, basta ! Interdiction de rire. Evidemment, qui est trop sérieux – et malheureusement, les Germains le sont – n’a aucune raison de rire. Ces hydrocéphales donnent leur préférence aux migraines plutôt qu’à l’humour libérateur. Que cette façon de penser soit absurde, obstinée et auto-cas-tratrice, ce n’est pas ici notre sujet. Sans humour il n’y aurait ni Plautus, ni Rabelais, ni Jarry, ni Rops, ni Ensor, ni Grosz, ni Crumb etc. En Germanie, un Robert Combas ou un Hervé di Rosa seraient obligés de faire la queue pour le R.M.I.

A la fin des années 70 et au début des années 80, Reinhard Scheibner peint essentiellement des tableaux grand format à la manière ” sauvage ” propre à cette époque, pourtant ses toiles diffèrent fondamentalement des platitudes rapidement peinturlurées des ” Moritzboys ” ou ” Neue Wilden “. Comme beaucoup d’artistes, il est fasciné par le radicalisme du criminel, par son offense consciente à la morale bourgeoise. L’insondable, le cauchemardesque, ” la terrible beauté de l’acte ” (Nietzsche) sont bien plus féconds que le beau, le vrai, le bon. Il examine jusqu’au bout les bas-fonds de l’humanité et entre immédiatement dans le vif du sujet. Les décors de scène sont définis par la pure violence. Les auteurs en sont des médecins, des policiers, des criminels sadiques, des punks, des skinheads, des chiens qui chient. Le bourgeois d’à coté, devenu fou, élimine systématiquement tous les membres de sa famille, des femmes gigantesques se défoulent sur leurs bonshommes maigrelets, des pervers se masturbent ou se laissent masturber : Un joli pandémonium des temps modernes nous est présenté sur le tableau de service.


C’est l’époque des squatts et des bagarres de rue. Quand les policiers ne sont plus là, on se démolit respectivement la gueule dans des bistrots. Les policiers et les autonomes se ressemblent de plus en plus par leur apparence et leur comportement ; Qui est l’auteur ? qui la victime ? La folie est omniprésente, on la ressent presque physiquement dans la ville de la guerre froide. Reagan, rendu idiot bien avant sa maladie d’Alzheimer, médite tout haut sur les bénéfices à gagner d’une guerre atomique (first-strike-capability !), 1984 est planté devant la porte, le Horla passe en courant. No future – de chaque trou sortent des gémissements. Puis Tschernobyl se met à trop bouillir, à déborder, et c’est le cirque complet. Comme toujours, on ne peut surpasser la réalité. Scheibner essaie seulement de s’en approcher, de la comprendre par son art. De là l’attachement aux détails méticuleux, l’abondance baroque d’objets et de personnages qui fourmillent dans la plupart de ses œuvres. Il raconte des histoires de grandes villes, documente le stress des soldes de fin de saison, l’isolement de l’individu dans la masse, les hurlements dans les distilleries, la confusion dans les rues ; l’architecture est répugnante, inhumaine, monstrueuse et menaçante ; la nature n’existe pratiquement pas, tout au plus y fait-il allusion. Aux représentations du quotidien s’ajoutent en 1991 – pendant I’ ” Opération Désert Shield ” – des images de batailles avec des tanks, des fusées ” scuds ” et des soldats qui portent des masques à gaz : Scheibner reste comme toujours proche de l’actualité. C’est à cette époque qu’il compose un fantastique tableau sur l’effondrement de Nietzsche à Turin. On reconnaît dans la caricature du cocher qui fouette le cheval les traits du visage de Scheibner. Rouge de fureur, il frappe la pauvre créature squelet-tique et sans défenses. Bien qu’il s’identifie aussi au philosophe devenu fou, il est à la fois auteur et victime, donc pas meilleur que les salauds qu’il représente : Lui-même n’est qu’un salaud parmi des milliards de cinglés, et chacun s’imagine devoir trotter à la poursuite d’un présumé but vital. Ils ne sont tous que des sacs de sang remplis de merde, mis en mouvement par le fouet de leur caducité biologique, obsédés par le désir de détruire les autres avant que ne vienne leur tour.
Dans la première moitié des années 90, les tableaux ressemblent de plus en plus à des affiches aux contours nets, parfois Scheibner n’utilise qu’une seule couleur mis à part le noir et blanc. Il tente de se réduire, de se concentrer sur l’essentiel. Entre-temps évidemment la société ne s’est pas transformée -des nouveaux signes précurseurs pour le même cercle perpétuel. On fume et picole dans les bistrots, tandis qu’à l’arrière pian des coups de feu sont tirés avec ardeur, on est victime de la médecine, on chie dans le chapeau d’un mendiant, des hommes sans yeux s’en achètent au kiosque du coin et tentent de les incorporer à leur visage qui d’ailleurs n’a pas de bouche non plus. En 1996 apparaissent les ” visages-anus “dans des tableaux à nouveau plus colorés. La tête s’est transformée en un cul, on annonce l’inversement de la digestion. Scheibner peint de nombreuses aquarelles : A la place des jambes, les êtres au visage-anus n’ont souvent plus qu’un phallus gigantesque, flasque ou en érection, des intestins flottent dans les airs, les scènes deviennent de plus en plus bizarres.
Mais quelque chose de nouveau fait son apparition. La vision de Scheibner se distancie et il découvre la flore. Tout d’un coup il y a de l’herbe, des arbres et des paysages soignés, une certaine forme d’approbation s’insinue. Bon, à l’arrière-plan, on continue de s’entretuer, de profaner et de mettre le feu. Scheibner est touché par la réalité, mais ne s’en étonne plus, il trouve toutes ces imbécillités terrestres plus amusantes que tragiques. On s’imagine complice de son humour ou bien on le réfute car on le trouve trop répugnant : devant Scheibner comme devant tout grand artiste, toute prise de position est extrême. Il donne un souffle de vie à ces visages-culs qui chient les aliments digérés par leur bouche en forme de rosette : oui, ils ont des physionomies humaines et soudain ils se mettent à vivre.


L’homme avec sa ridicule audace, transformé en déchet de l’évolution. Le meilleur de la création d’un Dieu imaginaire s’est disqualifié et ne fait plus qu’un avec son excrément. Par la surpopulation, par la surabondance de l’existence, on chie trop sur la terre, et soudain la merde vit. Adoration des égouts, crampes de l’élimination, idylle du rectum, bienvenue au Congrès des copro-phages. Avec candeur et gaieté, les crottes prennent leurs ébats à la mer, sur la piste de luge, dans les parcs, dans une nature qui se montre de plus en plus optimiste, elles aiment aussi s’accrocher à des meubles Bauhaus (seconde nature). Bien sur, les crottes-artistes dans des fauteuils roulants ne manquent pas. La société des loisirs, du plaisir et du chômage fête joyeusement sa résurrection, c’est-à-dire sa défécation. On a appris par cœur à faire semblant de vivre. L’homme est réduit à sa véritable fonction dans la nature : celle d’un engrais pour d’autres formes de vie à venir, exactement aussi inutiles que lui. Un jour, la planète ne sera plus atteinte de cette maladie qu’est l’homme, peu importe, en attendant savourons un bon verre de vin, mais aussi l’art de Scheibner et ruminons ainsi notre propre état de langueur incurable.

Interview mit Reinhard Scheibner
Er wurde 1953 in Bamberg geboren. Lebt und arbeitet in Berlin.
Interview Februar 2014
Willst du mit deiner Kunst etwas aussagen oder stellst du nur deine Fantasien dar?
Sowohl als auch, letztlich ist jedes Kunstwerk ein Werk der Fantasie, der Imagination. Aber bloße Fantasien sind sie dennoch nicht, da fliesen allerlei Beobachtungen mit ein, Überlegungen zum Inhalt, zur Form, Intuitives, Gefühltes auch Körperliches. Ich zeichne meistens mit der rechten Hand, manchmal aber auch mit links, den Füßen oder mit geschlossenen Augen. Dann wieder recherchiere ich vorher erst einmal gründlich, wie bei der Serie von Radierungen über die dunkleren Seiten unserer jüngeren Vergangenheit. Das jeweilige Verhältnis kann ich nur am einzelnen Bild aufdröseln, sonst bleibt es hier bei Allgemeinplätzen. Im Laufe der Jahre habe ich ja viele verschiedene Sujets gemalt, unterschiedliche Themen, Genres und nach unterschiedlichen Methoden gearbeitet. Darunter sind einige reine Fantasiestücke, aber meist gibt es einen Bezug zur Wirklichkeit. Schließlich sind auch unsere Fantasien wirklich, drängen zur Verwirklichung. Aber das ich vorher schon exakt weiß was ich wie darstelle kommt selten vor. Das wäre auch reizlos, das Bild muss zu erst einmal mich selbst überraschen, sonst stimmt etwas nicht damit.
Du hast schon merkwürdige Zeichnungen, besonders deine Frauen mit Penissen sind schwer zu verstehen. Ist das eine persönliche Fantasie oder soll es die Ermächtigung der Frau symbolisieren indem du ihr einen Schwanz anhängst?
Nein das soll kein Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter sein oder die späte Erfüllung des Freudschen Penisneids. Die Figur des Hermaphroditen gibt es ja schon lange im Mythos und so auch der Kunst. Im Internet findet man heutzutage als eine zeitgemäße Variante derselben Idee jede Menge Fotos und Filme von Shemales und Ladyboys.
Obwohl, einmal gestand mir eine Frau, die ich damals sehr begehrte, dass sie gerne einen Schwanz hätte. Also erbot ich mich sie mit einem solchen zu malen. Das tat ich dann auch. Aber so richtig begann ich damit erst, als ich mit Mitte 50, gelangweilt von meinem immer gleichen alten Selbst, beschloss die Wechseljahre zu nutzen und ein zweites Leben als Mädchen zu beginnen. Nur auf mein wertvollstes Teil verzichten wollte ich dabei doch nicht. Erst machte ich nur ein paar Fotos und und Videos von ihr, ganz schlicht und trashig, nur zu meiner Unterhaltung. Entwarf dann in schlechtem Englisch eine kurze Biografie für das Mädchen, um so vielleicht ein „Second Live“ auch im Internet zu beginnen. Als ich 2011 vom „Museum of Porn in Art“ in Zürich für eine Ausstellung eingeladen wurde begann ich dafür die Geschichten der beiden in einer Serie von Tuschezeichnungen zu illustrieren. Anders als ich hat das Mädel sogar eine Philosophie, hier ein kurzer Auszug:

“You may ask yourself how old is little Gina? Now let me tell you nobody knows this exactly, nobody needs to know this, because I will always be between thirteen and fifteen and discover sex for the first time. Like Peter Pan, in fact you can see me as his older sister, I will never grow up. I don’t want to grow up; I have no interest in your grownup world, your awful grownup politics and affairs, all your stupid money grabbing business, I only want to fuck with grownups. Even so grownups do not allow other grownups to fuck little Gina. But that’s just another one of your silly problems. I don’t need to be protected. You may need to be protected from me. Nooo, that’s not true, I am not evil, I am all sweet and nice. You may need protection from your laws and desires, but not from little Gina. I want you to have a good time with me and as I said it before, I don’t mind how you look or what’s your age. I am the sunny, the all-loving type, a real people pleaser, I want everybody to be happy with me. I don’t mean loving in the way most people, especially most other woman use it when they talk about love. Do you love me, will you always love me, why don’t you love me anymore… I don’t wont to have anything to do with this sentimental, possessive, jealous kind of love. This is just a emotional disease to me. I talk of acceptance, affirmation; I don’t cling to anything, I hop from one person to another, from young to old to a mosquito. Yes, it is all the same for little Gina, I do not charge things or people. I enjoy you playing with my girl-cock and I get excited if a cued little mosquito sits on my gland and sucks blood from me girl-cock. I have never fallen in love and I hope I never will. I also don’t wont you or anyone else to fall in love with me. I get all annoyed when I see this sheepish look on peoples faces when they do. A good fuck is all I need and want.”
Ende 2011 begann ich an dem Buch „Horny“zu arbeiten und schickte dafür die Göre erst einmal in das Berliner Nacktleben** zum recherchieren. Je mehr Wirklichkeit um so besser. Ich habe sie ja nicht als unbeteiligten Beobachter dort hingeschickt, sondern um etwas zu erleben von dem ich dann aus erster Hand berichten kann.
Erzähl mir etwas über Engelbert Kievernagel, ward ihr eng befreundet oder habt ihr euch nur für bestimmte Projekte getroffen?
Nein, wir waren nicht so eng befreundet, mich hat mehr seine Kunst und der Künstler interessiert, der Außenseiter. Zu Beginn hatte er mir auch ein paar Mal Modell gestanden. In seinem letzten Lebensjahr, als er wegen seiner Krebserkrankung seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte oder wollte, habe ich ihn öfters besucht und ein wenig nach ihm gesehen. Er hatte ja keine Freunde, außer seiner Schwester die ihn pflegte. Seine Briefe an mich klingen vielleicht sehr persönlich, sogar intim, aber tatsächlich hat er sie so oder ähnlich an jeden geschrieben der auch nur entfernt dafür in Frage kam. Wenn er noch am Leben wäre würde er jetzt wohl auch an dich so schreiben. Für mich sind die Briefe Teil seiner Kunst, sonst hätte ich sie nicht veröffentlicht.
Vielleicht hätte er auch keine mehr geschrieben, denn inzwischen hat sich hier einiges verändert. Engelbert wurde seinerzeit noch von der berittenen Polizei nackt durch den Wald gejagt, wenn er dort nackt spazieren ging, heute kann sich jedermann nackt in irgend einem Park mitten in Berlin sonnen und kaum jemand stört sich noch daran. Dies ist eine der Segnungen die die Wiedervereinigung mit sich brachte, die ehemaligen Ostdeutschen, streng materialistisch erzogen, hatten keinerlei religiöse Hemmungen, sich in der Öffentlichkeit zu entkleiden. Auch ist die Szene heute bestens organisiert, es gibt kaum noch eine Fantasie die man nicht an irgend einem Ort in der Stadt mit gleichgesinnten ausleben kann.
Bist du eher ein sozialer Mensch oder lebst du in intellektueller Isolation?
Ja, manchmal fühlt es sich so an. Ich neige dazu mich selbst zu isolieren. Die einen versuchen wie ein Balzacer Held mit ihrer Kunst die Welt zu erobern, ich ziehe mich lieber aus derselben in die Kunst zurück.
Ich war nie in Berlin, es ist bestimmt schön dort. Was würdest du über Berlin sagen?
„Schön“ würde ich nicht sagen, das ist kein Wort welches ich benutzen würde um Berlin zu beschreiben, schon gar nicht in den langen kalten und nassen Wintermonaten. Selbst die Sommer sind ja oft genug noch nass und kalt. Aber es gibt so viele verschiedene Berlin, da müsstest du schon genauer fragen was du wissen willst.
Was machst du noch außer malen?
Im Sommer faulenze ich gerne in der Sonne, wenn sie denn einmal scheint; schwimme in den Seen in und um Berlin, lese, skizziere, fotografiere und filme ein bisschen oder ich gehe Nachts aus und besaufe mich dann meist.

In deinem Brief sprichst du von Klaus Theuerkauf und endart, einem Kunstkollektiv aus den 80er Jahren. An welchen Aktionen hast du dich beteiligt und was machen sie heute?
Das Künstlerkollektiv hat sich 1980 oder 81 gegründet und eine große Ladenwohnung in Kreuzberg gemietet. In den hinteren Räumen haben sie zusammen gearbeitet, vorne im Laden ihre Arbeiten ausgestellt. Der Erfolg, weit über Berlin hinaus, kam dann sehr schnell. 1988 haben sie sich als Gruppe schon wieder aufgelöst. Einige machen weiter Kunst, andere gingen danach in andere Berufe. Ich kannte und schätzte ihre Arbeit, war aber nie Teil der Gruppe, persönlich lernte ich sie überhaupt erst in den 90 er Jahren kennen. Anfang der 90 er Jahre begann Klaus Theuerkauf auch befreundete Künstler auszustellen oder Künstler deren Arbeiten ihn überzeugten. Ich hatte von 1994 bis 2005 an etlichen Gruppenausstellungen teilgenommen und auch ein paar Einzelausstellungen dort gemacht. Eine Galerie im gewöhnlichen Sinne war es nie, dazu ist er zu sehr Künstler und Chaot, kein Geschäftsmann zu unserem Leidwesen. Aber es war ein dennoch ein guter Ort, auch um andere Künstler zu treffen die in eine vergleichbare Richtung arbeiten. Heute ist der Laden meist geschlossen und zeigt wieder nur endart Arbeiten. Am Samstagnachmittag kommt dort das Oberkreuzberger Nasenflötenorchester, der Grindchor, zusammen zum üben. Dabei fliest immer auch viel Bier.

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